Contzlin der Geschlagene und Nicklaß der Büßer

Selbst in der Finsternis zu Schreiten,kann für andere das Licht bedeuten.

 

Contzlin war noch jung an Jahren, da er heimgesucht werden sollte, von einer tückischen Krankheit, die ihm das Augenlichte nahm. Voller Verzweiflung, erschüttert über sein Unglück, zog er sich aus seinem Dorfe zurück, verließ alle, die er liebte und fand kriechend Zuflucht in einer großen Höhle.

 

Genährt von dem Wasser der Wände und der Liebe Ordons wurden ihm die kommenden Jahre voll tiefer Einkehr geschenkt. Blind fand er zu seinem inneren Lichte, zu seinem eigenen Herzen und erkannte, dass seine Hände sehend, seine Ohren richtungsweisend waren. So traute er sich schließlich hinaus, fand seinen Weg und kehrte in sein Dorf zurück. Er wurde mit Staunen begrüßt und fand seinen Platz in der Gemeinschaft, indem er seiner Nase folgte und die besten Heilkräuter, oft tief verborgen, fand.Eines Tages sollte es geschehen, dass Nicklaß von der Trutzen, ein stolzer Mann und Herr über die Lande, auf Contzlin stieß.

 

Dieser war ihm im Wege, bei seinem Ausritt und konnte nicht mehr ausweichen dem Pferde, so dass es scheute und seinen Reiter in den Dreck warf. So beschämt wurde der Herr von Trutzen wütend und fiel brutal mit der Reitpeitsche über den Blinden her. Contzlin hob noch nicht einmal die Arme zum Schutze und ließ alles über sich ergehen. Seit diesem Tage an kam der Herr Nicklaß, wenn ihn die Wut fasste, in das Dorf und ließ seinen Wut und seinen Ärger an Contzlin aus. Er demütigte und misshandelte ihn, wo er nur konnte und der Blinde ließ alles klaglos über sich ergehen. Doch der Tag der Tage sollte kommen, als der Herr mit seiner Familie in der Kutsche zu einer Vergnügung ausfuhr.

 

Er sah den Blinden auf der Suche nach Kräutern und ließ die Kutsche beschleunigen, um Contzlin erneut einen Schrecken einzujagen. Er wusste nicht um den Abgrund, der Nahe Contzlins lag und preschte fast in sein Verderben! Doch Contzlin hob seinen Blick und war sehend. Sehend der Pein und sehend dem, waskommen würde. Erfüllt von Ordons Güte, vergessend alles, was ihm durch diesen Manne angetan worden war, stürzte er sich der Kutsche entgegen. Es gelang ihm kurz vor dem Abgrund, sich vor die Pferde zu schmeißen und sie zum Stehen zu bringen. Sein eigener Körper aber fiel und fiel und zerschmetterte an den Felsen. Ihm wurde der Segen des Sehens zuteil, als es für ihn nichts mehr zu sehen gab und doch war das der Augenblick der wahren Erkenntnis.

Nicklaß von der Trutzen aber ward sich seiner Missetaten bewusst. Auch er fand in diesem Augenblicke das Licht und das Wissen um die Ordnung. Um dieser gerecht zu werden und Ordon zu danken, für den blinden, sehenden Schutzengel seiner Familie, ließ er Contzlin ein Denkmal errichten und seine Gebeine in Ehren begraben.Seiner Schmach bewusst,lehrte er seinen Sohn gütig zu sein und jeden seiner Untertanen zu schätzen. Er errichtete Heilungsstätten, hatte ein offenes Ohr für jeden und kümmerte sich hingebungsvoll selbst um die kleinsten Leiden.

 

Als es dann an der Zeit war, seinem Kinde die Regentschaft zu überlassen, zog er sich in eben jene Höhle zurück, in der auch Contzlin geweilt hatte. Er schabte sich, eben Contzlin, das Haupthaar, nährte sich vom Wasser der Wändeund wartete auf die tiefe innige Verbindung zu Ordon. Die Jahre verstrichen und sein Blick blieb auf die Welt gerichtet, seine Ruhe und Zuneigung zu Ordon war noch nicht allumfassend.

 

Erst als er sich einen scharfen Stein nahm, diesen nacheinander in seine Augen trieb und die Augäpfel aus ihren Höhlen schälte, fand er zu sich selbst. Schon im Schmerze war er sich der Ordnung der Welt bewusst. Er sollte noch einige Jahre in der Höhle verweilen, ehe er zu der Dorfgemeinschaft ging und dort seinen Platz einnahm. Dort brachte er den Frieden von Ordon unter die Dörfler und verbrachte seine Jahre in der Aufopferung für andere.Niemals wurde er schlafend gesehen. Immer in der Aufgabe anderen zu helfen, immer wach und in der Blindheit sehend für den Schmerz anderer.

 

Viele entbehrungsreiche Jahre später, sein Leib völlig ausgezehrt sollte es sich finden, dass er an eben jener Klippe nach Heilkräutern suchte, um das Augenleiden eines Jungen zu lindern, der schon fast erblindet war. Kurze Zeit später wurde sein zerschmetterter Körper an eben jenem Vorsprung gefunden, an der auch Contzlin geendet hatte. Seine blinden Augen schauten noch im Tode sehen und voll Güte, in der Faust die Kräuter, die dem Jungen die Heilung bringen sollten.So hatte dieses kleine Dorf gleichzwei Heilige, denen es noch immer die Augäpfel toter Tiere als Huldigung darbrachte.